Aufzeichnungen aus der Gefangenschaft – Melanchthon-Schüler lesen aus dem Tagebuch von Iwan Gusew

„Es gibt kein Brot. Hunger. Ach, so eine grausame Zeit! Und der Krieg geht immer weiter“, so beschreibt der sowjetische Kriegsgefangene Iwan Gusew, der von September 1942 bis zum März 1945 im STALAG IX A Ziegenhain gefangen war, in seinem Tagebuch seine Lage.

Einblick in dieses Einzelschicksal und Gusews Gedankenwelt vermittelten bei einer Veranstaltung am 7.11.2013 in der Gedenkstätte und in dem Museum Trutzhain Schülerinnen und ein Schüler der Melanchthon-Schule, die Auszüge aus seinem Tagebuch (bzw. die deutsche Übersetzung) und offizielle Erlasse und Verordnungen des NS-Systems über die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen vorlasen. Begleitet wurde die Veranstaltung durch die Lehrkräfte Alexander Grow und Stefanie Wagner.

 

Nach einem Musikstück von Martin Bickel (Q3) am Klavier, der die Veranstaltung musikalisch begleitete, begrüßte die Leiterin der Gedenkstätte, Karin Brandes, die Jugendlichen und die Gäste. Anschließend erläuterte Stefanie Wagner den Zusammenhang zwischen dem Gedenken an den 9. November 1938, die sog. Reichspogromnnacht, und dem Tagebuch des sowjetischen Kriegsgefangenen Iwan Gusew. Sowohl jüdische als auch sowjetische Menschen seien aufgrund der NS-Ideologie abgewertet, diskriminiert und verfolgt worden, bis hin zum Massenmord.

Dann lasen die Jugendlichen – Celine Bornmann, Vanessa Guwa, Sarah Lückert und Nathalie Radler (Einführungsphase) – einen einleitenden Sachtext über das Leben von Iwan Gusew und sein Tagebuch sowie Auszüge daraus vor. Diese Tagebucheinträge vom 25. Oktober 1944 bis zum 25. März 1945 stellen eine echte Rarität dar, weil viele historische Zeugnisse bei der Auflösung der Lager und der anschießenden Repatriierung verloren gegangen sind.

Gespannt lauschte das zahlreich erschienene Publikum den Aufzeichnungen aus der Gefangenschaft, die von lyrischen Passagen über die Sehnsucht nach seiner Frau bis zu nüchternen Beschreibungen der Gefangenenbaracke reichten. Beeindruckend war für alle die Weite der Gedankenwelt dieses Gefangenen, dem das nicht ungefährliche, heimliche Tagebuchschreiben einen seelisch-moralischen Rückhalt gab und dem es dabei half, die Gefangenschaft zu überstehen. Nationalsozialistische Ideologie wurde deutlich an den von Tim Weber (ebenfalls E-Phase) vorgelesenen Auszügen aus Erlassen, Verordnungen und Anweisungen des NS-Regimes über den „Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefange-ner“ (Erlass des Reichsarbeitsministeriums vom 14. August 1941). Diese forderten u.a. im Hinblick auf die Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, dass „jede Berührung mit der Bevölkerung, mit ausländischen Zivilarbeitern oder mit anderen Kriegsgefangenen“ (ebd.) zu vermeiden sei. Deutlich wurde, dass nur die Notwendigkeit, die Kriegsgefangenen in der Rüstungsindustrie als Arbeitskräfte einzusetzen, deren Versorgung verbessern sollte, welche nach den Aussagen Gusews dennoch nicht ausreichend war. Weitere Befehle betrafen deren Bestrafung und Beerdigung. Immer wieder wurden so die Perspektiven des Gefangenen Gusew mit der offiziellen NS-Politik kontrastiert und deren Unmenschlichkeit aufgezeigt.

Nach der Lesung blieben viele Besucher nach da, tauschten sich bei Tee und Gebäck untereinander und mit den Jugendlichen über die vorgetragenen Texte aus und nahmen dann das Angebot der Gedenkstättenleiterin wahr, einige markante Orte des ehemaligen STALAG IX A Ziegenhain in Trutzhain zu besichtigen. Insbesondere die Möglichkeit, in eine ehemalige Kriegsgefangenenbaracke hineinzugehen, wollten viele interessierte Teilnehmer nutzen. Weder die Dunkelheit noch der Regen schreckten sie davon ab, sich noch anschaulicher in die Lagerwelt des Iwan Gusew zu begeben.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass nicht nur die Jugendlichen das Tagebuch und die Thematik interessant und das Erinnern daran wichtig fanden, sondern auch die Besucher der Veranstaltung sich bewusst mit dieser dunklen Seite der Lokalgeschichte auseinandersetzen wollten.