„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“ So zitiert der Künstler Gunter Deming den Talmud. Er hat es sich zum Ziel gemacht, die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus lebendig zu erhalten, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenksteine aus Messing, sogenannte Stolpersteine, in den Gehweg einlässt. Inzwischen liegen Stolpersteine in 1265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas.

Am Samstag, den 4. Mai 2019, wurden in Treysa zehn solcher Stolpersteine unter Beteiligung von Schülerinnen und Schülern der Melanchthon-Schule und des Schwalmgymnasiums verlegt. Damit wurden Doris Mathias (ehemals Braugasse 3) und Hans Joachim Spier (ehemals Wagnergasse 22) und ihre ermordeten Angehörigen, die zum Opfer des nationalsozialistischen Antisemitismus und seiner Gräueltaten wurden, geehrt. Doris Mathias und Hans Joachim (später: Jack) Spier konnten als Kinder aus Treysa gerettet werden, indem ihre Familien sie im Rahmen der sogenannten Kindertransporte aus ihrer Heimat wegschickten.

Während der Stolpersteinverlegung trugen Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 die Biographie Hans Joachim Spiers vor, die sie sich zuvor in einem Projekt erarbeitet hatten. Musikalisch wurde die Gedenkfeier von zwei Schülerinnen der Jahrgangsstufe 10 begleitet. Hans Joachim Spier, der am 09. Januar 1928 in Treysa zur Welt kam, reiste 1939 im Alter von 11 Jahren mit zwanzig weiteren Jungen von Frankfurt nach England aus. Dort kamen die Jungen in einem Dorf namens Waddesdon unter, wurden finanziell von einer einflussreichen Familie unterstützt und auf das Arbeitsleben vorbereitet. Hans Joachim Spier wurde Bäcker und gründete eine eigene Familie. Bei der Stolpersteinverlegung waren drei seiner insgesamt sechs Töchter anwesend sowie drei Enkelkinder, die eigens aus England angereist waren. Hans Joachim Spier selbst verstarb am 18. Mai 2007. Seine Nachfahren zeigten sich sehr dankbar, dass das Anliegen ihres Vater und Großvaters, der bereits am 18. September 1989 beim damaligen Bürgermeister der Stadt Treysa angefragt hatte, ob es geplant sei, in Treysa eine Erinnerungstafel oder ein Erinnerungsstein im Andenken an die früheren jüdischen Bürger zu errichten, nun in die Tat umgesetzt wurde.

Im Anschluss an die Gedenkfeier bestand für die Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse die Möglichkeit, den Angehörigen Fragen zum Schicksal Hans Joachim Spiers zu stellen, die sich bei der Recherche ergeben hatten. In diesem sehr angenehmen Gespräch erfuhren die Schülerinnen und Schüler sehr viele Details aus dem Leben Hans Joachim Spiers, sodass sie sich ein umfassendes Bild von seiner Biographie machen konnten. Hans Joachim Spier wurde als glücklicher Familienmensch, der selten verärgert oder gereizt war und immer fröhlich und zu einem Spaß aufgelegt war, beschrieben.

Die Ergebnisse des Projekts zu den Kindertransporten, das vom Evangelischen Forum initiiert und begleitet wurde, werden im nächsten Schuljahr in einer von den Schülern der Melanchthon-Schule, des Schwalmgymnasiums und der Steinwaldschule Neukirchen selbst gestalteten Wanderausstellung zu sehen sein.

(Text: Svenja Nickel; Bild: Julia Filsack)